Aus dem Leben eines Dorfkindes, das in die Stadt verpflanzt wurde

Heiter bis wolkig sind die Erlebnisse, die hier zu Papier gebracht wurden. Authentisch und ungeschminkt.
Du bist doch ein Mädchen
Am 27. Dezember, gleich nach Weihnachten, habe ich Geburtstag. Die Geschenke wurden bei uns immer ganz gerecht aufgeteilt. Den ersten Schwung gab es Heiligabend unterm Weihnachtsbaum und den zweiten am 27. - auch unter dem mit für meinen Geschmack zu viel Lametta verunstalteten Baum. Da war ja gar kein Grün mehr zu sehen!
Ich wünschte mir jedes Jahr Legosteine, eine elektrische Eisenbahn und ganz viele Bücher. Ich bekam aber immer nur Puppen und - zum Glück - reichlich Bücher, mit denen ich mich wunderbar in mein Zimmer oder eine Ecke in der Stube verkrümeln konnte.
„Du bist doch kein Junge! Ein Mädchen spielt nicht mit Lego oder einer Eisenbahn.“
Das stimmte ja gar nicht: Meine Freundin hatte Legosteine, und ich liebte es, damit Häuser zu bauen. Meine Kreativität zwang ich den ungeliebten Puppen auf, indem ich ihnen Bärte aufmalte.
Ich erfuhr noch auf ganz andere Art, dass ich ein Mädchen war. Von Anfang an wurde ich in der Stadt angehalten, im Haushalt zu helfen. Am meisten hasste ich es, die Socken, die meine Mutter im Waschbecken in aufgefangener Lauge wusch, in eiskaltem Wasser nachzuspülen - dabei taten mir vor allem im Winter im ungeheizten Bad so die Hände weh. Ich verstehe bis heute nicht, warum die Strümpfe nicht auch in der Maschine gewaschen wurden. Allein der Geruch dieser stinkenden Schmutzbrühe war mir schon zuwider. Bügeln - ich bekam meist die karierten Stofftaschentücher meines Vaters vorgelegt - und Treppe wischen waren ebenso unangenehme Aufgaben für eine 9-Jährige.
„Mein Cousin und die Nachbarskinder müssen sowas nie machen“, beklagte ich mich.
„Das sind ja auch Jungen“, entgegnete meine Mutter.
Die „Jungen“ liefen mit Vorliebe über die nasse Treppe, wenn ich gerade beim Wischen war. Ihr hämisches Grinsen rief mir nochmals vor Augen, dass ich eben nur ein Mädchen war. Dazu kamen dann noch die verhassten Sonntagsspaziergänge im feinen Kleid und der Handarbeitsunterricht in der Schule. Mein genähter Rock wollte mir einfach nicht passen, obwohl ich mich so damit abgequält hatte. Ständig rutschte er mir herunter.
Die Lehrerin fragte: „Ist der für dich?“
Dummerweise bejahte ich und bekam prompt eine 4. Die Topflappen waren murklig, krumm und schief, und der gehäkelte Pullover wurde mit jeder Reihe ein Stück breiter.
Aber ein halbes Jahr lang kamen meine Freundin und ich dann tatsächlich in den Genuss, mit den Jungs aus unserer Klasse zu werken. Wir haben nämlich einfach so getan, als hätten wir uns in der Tür geirrt und durften wirklich bleiben. Wunder geschehen!
In jenem Halbjahr stellten wir wunderschöne Flipper aus Holz her und hatten viel mehr Spaß als in der langweiligen Handarbeitsstunde.
Im Alltag bevorzugte ich Jeans oder kurze Hosen, später Hotpants. Damit konnte man auch viel besser Radfahren oder auf Bäume klettern.
In den Ferien durfte ich immer eine Woche zu Tante und Onkel, das war die schönste Zeit für mich.
Mein Onkel unternahm viel mit mir: Wir gingen ins Schwimmbad oder in den Wald. Im Auto durfte ich vorne sitzen und das Radio anmachen, wenn wir morgens frische Brötchen holen fuhren.
Als ich ihn mal fragte, ob er kein zweites Kind wollte, antwortete er: „Wenn ich wüsste, dass es ein Mädchen wird, dann schon.“
Mit meiner Tante konnte man wunderbar lachen und Witze erzählen oder über den Markt bummeln. Es gab Limonade statt den ganzen Tag über nur Muckefuck - und nachmittags leckeren Kuchen vom Bäcker.
Nur mit meinem Cousin, der sieben Jahre älter war als ich, stand ich oft auf Kriegsfuß. Besonders gemein fand ich es, wenn er mich bei Tisch so richtig zum Lachen brachte, denn er wusste, dass ich dann regelrechte Lachkrämpfe und keine Luft mehr bekam. Wenn ich am Boden herumrollte und schon befürchtete zu ersticken,
Aus dem Buch DAS LEBEN IST EIN ARSCHLOCH, UND ICH STECKE MITTEN DRIN.
https://buchshop.bod.de/das-leben-ist-ein-arschloch-und-ich-stecke-mitte...
©byChristine Erdic
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Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
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